Multiple Sklerose (MS) ist eine Krankheit, die sich von Person zu Person sehr unterschiedlich auswirkt. Multiple Sklerose kann in verschiedenen Formen auftreten, die sich hinsichtlich der Symptome, Schübe, Remissionen und des Krankheitsverlaufs unterscheiden. Allerdings sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Formen von MS oft verschwommen. Ein grundlegendes Verständnis der wesentlichen Unterschiede kann jedem helfen, egal ob man selbst an MS erkrankt ist, jemanden mit MS kennt oder sich einfach über eine Krankheit informieren will, an der insgesamt über 2 Millionen Menschen weltweit erkrankt sind.
Was ist Multiple Sklerose?
Bevor wir uns mit den verschiedenen Formen der Multiplen Sklerose und ihren Unterschieden beschäftigen, gibt es ein paar relevante Fakten, die sie alle gemeinsam haben.
MS ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, dass sich das Immunsystem des Körpers nicht normal verhält und körpereigene, gesunde Zellen angreift.
Spezifische Autoimmunkrankheiten unterschieden sich in der Art der Zellen, die sie angreifen. Im Fall der Psoriasis (Schuppenflechte) sind es die Hautzellen, während bei der rheumatoiden Arthritis die Gelenke angegriffen werden.
Bei Menschen mit MS greift das Immunsystem das Myelin an. Myelin ist eine fettartige Substanz, die die Myelinscheiden (eine Art Schutzschicht) um die Fasern (Axone) des zentralen Nervensystems (ZNS) bildet und so hilft, elektrische Impulse und Kommunikation zu beschleunigen.
MS wird deshalb auch als demyelinisierende Erkrankungen eingestuft.
Da das zentrale Nervensystem so viele bewusst und unbewusst gesteuerte Funktionen des Körpers kontrolliert, sind die Symptome von MS extrem variabel und unvorhersehbar. Einige der häufigsten Symptome sind:
- Sehstörungen. Optische Neuritis (eine Entzündung im Bereich des Sehnervs) ist das erste Symptom in 15%-20% der MS-Fälle, eine bemerkenswert hohe Quote angesichts der Unregelmäßigkeit der meisten Symptome. Optische Neuritis kann zu einem vorübergehenden Verlust oder einer Minderung des Sehvermögens, Kopfschmerzen, zur Beeinträchtigung des peripheren Sehvermögens oder einem flackernden Gefühl in den Augen führen. Oft treten die Symptome in nur einem Auge auf. Der Schweregrad und die Genesung von der optischen Neuritis sind extrem variabel und, obwohl noch Forschungsbedarf auf dem Gebiet besteht, könnte sie auf den Schweregrad und die Genesung von zukünftigen Schüben hindeuten.
- Taubheit und Kribbeln. Ein weiteres Symptom, das häufig im Frühstadium der Krankheit auftritt, ist ein Kribbeln oder Taubheitsgefühl, das meist im Gesicht, den Armen und Beinen auftritt. Diese werden als sensorische Symptome bezeichnet und können auch ein brennendes Gefühl oder den sogenannten „MS hug“ (z. Dt. MS Umarmung) – ein Gefühl der Enge in der Brust- und Bauchregion - beinhalten. Sensorische Symptome können sich ungewöhnlich, unangenehm und schmerzhaft anfühlen.
- Müdigkeit, Muskelschwäche und Krämpfe. Die vielleicht bekanntesten Symptome von MS betreffen die Muskulatur und führen häufig zu deren Ermüdung und Schwächung. Dies führt oft zu verringerter körperlicher Aktivität, welche die Symptome weiter verschlimmert und auch nicht direkt betroffene Muskeln schwächen kann.
- Gleichgewicht- und Koordination. Neben Symptomen wie Muskelschwächung kann MS auch das Gleichgewicht und die Koordination beeinträchtigen.
- Blasenprobleme. Blasen- und Darmprobleme sind häufig und treten zu einem gewissen Grad bei schätzungsweise 80 oder mehr Prozent der MS-Fälle auf. Es kann zu häufigem und dringendem Harndrang, Inkontinenz und der Unfähigkeit, die Blase vollständig zu entleeren, kommen.
- Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten. Da MS jede Region des Gehirns betreffen kann, können verschiedene geistige Fähigkeiten wie das Gedächtnis, die Konzentration, das logische Denkvermögen und die Fähigkeit zur Problemlösung beeinträchtigt werden. Die Unfähigkeit klar zu denken wird oft als Zahnradnebel, MS-Nebel, oder Gehirnnebel bezeichnet.
Aufgrund der Natur von MS und durch die ständige Erweiterung unseres Wissens über die Krankheit, ist ihre Kategorisierung ein sich ständig weiterentwickelnder Prozess. Die aktuellsten Definitionen der „National Multiple Sclerosis Society“ (NMSS) von 2013 lauten:
- Klinisch isolierte Syndrom (CIS)
- Schubförmig remittierende MS (RRMS)
- Sekundär progrediente MS (SPMS)
- Primär progrediente MS (PPMS)
Klinisch isoliertes Syndrom (CIS):
Überblick
- Zusammengefasst: MS-ähnliche Symptome, die nur einmal für mindestens 24 Stunden auftreten
- Wie oft führt es zu MS: 60% - 80% der Fälle
- Typisches Alter zum Zeitpunkt der Diagnose: 20-40 Jahre
Die erste Form von Multipler Sklerose, die die NMSS definiert, ist tatsächlich gar kein MS, sondern ein möglicher Vorbote.
Sie wird durch ein oder mehrere Symptome, wie die zuvor genannten, definiert, die mindestens für 24 Stunden lang andauern.
Man spricht von CIS, wenn ein solcher Vorfall nur einmal auftritt. Sobald es zu einem zweiten Vorfall kommt – sei es Wochen, Monate oder Jahre später – wird die Diagnose zu MS geändert.
Wie MS wird auch CIS durch eine Entzündung oder Demyelinisierung im zentralen Nervensystem verursacht.
In der Regel wird mittels einer MRT Untersuchung die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der ein einzelner Fall zu MS führen wird. Das Ergebnis des Scans beeinflusst das weitere Vorgehen und die Auswahl möglicher Behandlungsmethoden, falls nötig.
Nach Angaben der NMSS wird man mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von MS eingestuft, wenn MS-ähnlichen Läsionen im Bereich des Gehirns oder der Wirbelsäule festgestellt werden. Schätzungsweise bei 60-80% dieser Fälle kommt es innerhalb der nächsten Jahre zu einem weiteren Vorfall, der zu einer Änderung der Diagnose zu MS führt.
Werden keine derartigen Läsionen festgestellt, gilt man als geringes Risiko für die Entwicklung von MS, was aber immer noch ca. 20% entspricht.
Eine schwedische Studie beobachtete zwischen 1950 und 1964 246 mit CIS diagnostizierte Personen um festzustellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Patient nur auf der „CIS-Stufe“ bleibt.
Die Studie zeigte, dass nach 25 Jahren 18% der beobachteten Personen auf der „CIS-Stufe“ geblieben sind.
Interessanterweise ergab sich eine vorteilhaftere Prognose für Fälle, in denen das erste Symptom eine optische Neuritis war. Hier blieb fast ein Drittel der Fälle auf der „CIS-Stufe“. Für andere sensorische und optische Symptome ergaben sich ebenfalls bessere Prognosen als für andere Symptome.
Basierend auf den Symptomen und den Informationen aus der MRT Untersuchung ist es daher möglich, eine gewisse Wahrscheinlichkeit abzuleiten, mit der eine Person MS entwickeln wird. Letztendlich wird aber nur die Zeit eine Antwort bringen.
Sollte man einen weiteren Rückfall erleiden und dementsprechend mit MS diagnostiziert werden, gibt es 3 weitere Formen der Krankheit. Die einzige dieser Varianten, die mit CIS direkt in Verbindung gebracht wird, ist…
Schubförmig remittierende MS (RRMS):
Überblick
- Zusammengefasst: Phasen in denen sich die Symptome verschlimmern (Schübe) gefolgt von Phasen der teilweisen oder vollständigen Erholung (Remission)
- Häufigkeit: Rund 80% - 85% aller MS Diagnosen
- Typisches Alter zum Zeitpunkt der Diagnose: 20-40 Jahre
Die schubförmig remittierende MS mach etwa 4 von 5 Diagnosen der Multiplen Sklerose aus, wobei die ersten Symptome meist in den 20er und 30er Jahren auftreten.
Da es sich um die schubförmig auftretende Form von MS handelt, ist sie diejenige, die bei einer CIS-Diagnose gestellt wird, falls ein MS-Schub (Rückfall) eintritt. Wie bei CIS müssen die Symptome auch hier mindestens 24 Stunden andauern um als Rückfall eingestuft zu werden. Andere mögliche Gründe für das Auftreten der Symptome wie z.B. Hitze oder Stress müssen dabei ausgeschlossen werden. Schübe können mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate anhalten – obwohl der letzte Fall eher selten auftritt.
Wie alle Aspekte der MS ist auch der Schweregrad and die Häufigkeit der Schübe unendlich variabel. Eine britische Studie schätzt, dass ein Rückfall alle 2 Jahre im Durchschnitt liegt.
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Obwohl es möglich ist, dass Schübe durch mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte getrennt werden, können manche Menschen auch mehrere Rückfälle in einem einzigen Jahr erleiden.
Zwischen Schüben kommt es zu einer Remission der Symptome. In einigen Fällen - insbesondere im Frühstadium der Erkrankung - können die Symptome sogar vollständig verschwinden. Im weiteren Verlauf der Erkrankung wird es immer wahrscheinlicher, dass die Symptome während der Remissionen zu einem gewissen Grad bestehen bleiben.
Gleichermaßen ist es normal, dass es in der frühen Phase der RRMS während der Remission zu keiner Verschlechterung der Symptome kommt. Im Laufe der Zeit ist es jedoch üblich, dass sich die Symptome in den Phasen der Remission allmählich verschlimmern.
Dies fällt oft mit einer Verringerung der Anzahl der erlebten Schübe zusammen.
Wenn solche Muster auftreten, ist es möglich, dass die RRMS weiter fortgeschritten ist. An diesem Punkt ändert sich die Diagnose zu…
Sekundär progrediente MS (SPMS):
Überblick
- Zusammengefasst: Schübe und Remissionen sind weniger deutlich ausgeprägt, da sich die Symptome gleichmäßiger entwickeln.
- Anteil der Fälle mit RRMS, die SPMS entwickeln: Etwa 80%
- Typisches Alter zum Zeitpunkt der Diagnose: 10-20 Jahre nach RRMS Diagnose
Im Wesentlichen ist die sekundär progrediente MS (SPMS) die zweite Stufe der schubförmig remittierende MS (RRMS).
RRMS entwickelt sich in etwa 80% der Fälle zu SPMS. In der Regel geschieht dies 10 bis 20 Jahre nach der Erstdiagnose.
Während RRMS sich durch klar abgegrenzte Schübe und Remissionen auszeichnet, sind diese bei SPMS weniger eindeutig bestimmbar. Schübe können unter Umständen auch überhaupt nicht auftreten. Falls doch, passieren sie tendenziell seltener, aber die Erholung ist auch weniger vollständig.
Anstelle klar abgegrenzter Schübe und Remissionen kommt es nach der Entwicklung von SPMS eher zu einer stetigen Verschlimmerung der Symptome.
Der Grund dafür ist, dass die Entzündungen, die mit den Schüben bei RRMS assoziiert werden, allmählich zurückgehen, während größere Nervenschäden auftreten.
Natürlich erfolgt eine solche Veränderung der Art und Weise, wie sich die Symptome zeigen, nicht über Nacht. Eine Person, die mit MS lebt, wird diese Veränderung wahrscheinlich noch vor ihrem Arzt bemerken. Oft dauert es mindestens weitere weitere Monate, bis ein Arzt auf Grundlage der beobachteten Symptome und der Testergebnisse z.B. einer neurologischen Untersuchung und MRTs die Diagnose von SPMS bestätigen kann.
SPMS kann weiter in seine aktive und nicht aktive Form unterschieden werden und dahingehend, ob die Krankheit fortschreitet oder stagniert.
- SPMS gilt als aktiv, wenn Schübe weiterhin auftreten oder neue MRT-Aktivität vorliegt. „Neue MRT-Aktivität“ bedeutet, dass das MRT bei einer Folgeuntersuchung neue Läsionen aufgezeigt hat oder dass sich zuvor entdeckte Läsionen vergrößert haben.
- Fortschreitende SPMS bedeutet, dass sich die Krankheit mit der Zeit verschlimmert, mit oder ohne Schübe.
Ärzte verwenden Aktivitäts- und Fortschrittsindikatoren um Behandlungspläne festzulegen.
Wenn die Krankheit aktiv ist, könnte der Arzt eine aggressivere krankheitsmodifizierende Therapie (DMT) vorschlagen, während der Fokus bei einer fortschreitenden SPMS stärker auf Rehabilitation und Mobilität liegen könnte.
Primär progrediente MS (PPMS):
Überblick
- Zusammengefasst: Allmähliche Verstärkung der Symptome ohne Schübe
- Häufigkeit: Etwa 10% - 20% aller MS Diagnosen
- Typisches Alter zum Zeitpunkt der Diagnose: 40-60 Jahre
Wie der Name schon vermuten lässt, ist die primär progrediente MS (PPMS) mit der sekundär progredienten MS (SPMS) vergleichbar, und zwar insofern als sie sich eher durch eine stetige Verschlimmerung der Symptome als durch Schübe auszeichnet (obwohl Schübe in seltenen Fällen immer noch auftreten können).
Im Gegensatz zur SPMS, die sich aus der schubförmig remittierenden MS entwickelt, beginnt die PPMS nicht mit Schüben, sondern mit einem schleichenden Prozess.
Die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess abläuft, unterschiedet sich von Fall zu Fall und ist unberechenbar.
Sie macht 10% bis 20% der MS Diagnosen aus und ist somit der seltenste Krankheitsverlauf von MS.
Mit 40 oder mehr Jahren ist das typische Alter des Krankheitsausbruchs von PPMS höher als bei den anderen Formen von MS. Im Gegensatz zur RRMS, welche öfter bei Frauen diagnostiziert wird, sind Männer und Frauen von PPMS gleichermaßen betroffen.
Obwohl die Ursachen von Multipler Sklerose noch nicht vollständig geklärt sind, wird angenommen, dass sich PPMS grundlegend von RRMS unterscheidet. Vermutlich unterscheiden sich die zugrunde liegenden Prozesse und das Ausmaß der Entzündung, die mit den Schüben der RRMS assoziiert wird, ist bei PPMS geringer.
Während PPMS weniger stark verbreitet ist und in der Regel erst später im Leben auftritt, führt es mit höherer Wahrscheinlichkeit und in kürzerer Zeit zu einer Behinderung. Da es immer noch um MS geht, kann sich auch dies von Fall zu Fall stark unterscheiden.
Ebenso wie bei der anderen Form von MS verwenden die Richtlinien von 2013 aktiv und nicht aktiv um die Formen der PPMS zu unterscheiden, basierend auf dem Nachweis neuer oder vergrößerter Läsionen.
Sowohl die Diagnose als auch die Behandlung von PPMS ist bekanntermaßen schwierig. Die Symptome werden oft mit denen anderer Erkrankungen verwechselt, die in dem Alter auftreten, das auch für Ausbruch von PPMS typisch ist.
Medikamente, die normalerweise zur Behandlung von schubförmiger MS eingesetzt werden, sind für die Behandlung von PPMS nicht zugelassen, da die entzündungshemmende Wirkung eher auf die Vermeidung von Schüben als von Nervenschäden ausgerichtet ist.
In den USA wurde mit Ocrelizumab (Marke Ocrevus) ein krankheitsmodifizierendes Medikament von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Es wirkt auf eine bestimmte Art weißer Blutkörperchen, die zu Nervenschäden beitragen können.
Auch in der EU wurde Ocrelizumab für die Behandlung von PPMS zugelassen.
Ein Großteil der Behandlung konzentriert sich allerdings immer noch auf die Behandlung der Symptome, Rehabilitation und die Förderung des geistigen und Körperlichen Wohlbefindens.
Was ist mit der schubförmig progredienten MS (PRMS)?
Vor der Veröffentlichung der Richtlinien von 2013 war die schubförmig progrediente MS (PRMS) eine anerkannte Form von MS.
Ihre Definition glich im Wesentlichen der von PPMS, allerdings mit gelegentlichen Schüben. Es findet keine vollständige Erholung zwischen den Schüben statt und die Krankheit verschlimmert sich stetig zwischen den Schüben.
PRMS wurde bei ca. 5% der MS-Fälle diagnostiziert.
Nach den neuesten Richtlinien, die die jüngsten Erkenntnisse über die Krankheit berücksichtigen, würden diejenigen, bei denen zuvor PRMS diagnostiziert wurden, jetzt wahrscheinlich mit PPMS diagnostiziert werden.
Konkret würde es wahrscheinlich als aktives PPMS eingestuft werden, was bedeutet, dass neue MRT-Aktivität erkennbar ist.
Dieser Beitrag kratzt aufgrund der Komplexität von Multipler Sklerose nur die Oberfläche des Themas an, aber hoffentlich hilft er Ihnen, einige der wichtigsten Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen der Krankheit zu verstehen.
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