Dieser Blog-Eintrag ist ein Crash-Kurs. Wir wollen verständlich erklären, was man unter Spastik – Spastizität – spastischen Lähmungen versteht. Wir sprechen ein paar Fachbegriffe an und erläutern überschaubar alles, was man auf den ersten Blick zum Thema Spastiken, Krämpfe und Lähmung (speziell bei der Diagnose Multiple Sklerose) wissen sollte. Vorab: Die Spastik ist ein häufiges Symptom der MS und zeigt sich durch ungewollte, willkürliche Zuckungen der Muskulatur. Für den Alltag hat das Folgen.
Spastik – was ist das?
Die Spastik zählt zu den häufiger vorkommenden Symptomen im Krankheitsbild der Multiplen Sklerose. Sie beschreibt eine erhöhte Muskelspannung (Muskeltonus genannt), die die Beweglichkeit des Patienten beeinträchtigt und ist eine Störung des Dehnungsreflexes. Die Spastik entsteht durch eine Schädigung der Pyramidenbahn. Das ist eine, im zentralen Nervensystem verlaufende Verbindung aus Nerven, die alle menschlichen Bewegungen steuert.
Neben einer erhöhten Anspannung der Muskeln äußert sich eine Spastik außerdem durch: Steifheit des Muskels, Verkrampfungen, Muskelverkürzungen oder durch ein spannendes sowie schweres Gefühl im Muskel. In der Regel kommt mit der Spastik eine Parese – eine Muskelschwäche vor. Außerdem ist es möglich, dass es durch die Spastik zu Bewegungsstörungen wie Schwierigkeiten beim Gehen oder Laufen kommen kann. Dieses MS-Symptom kann also sehr schmerzhaft und zehrend sein.
Um die Spastik behandeln zu können, müssen Ärzte und Patienten genaueres über sie wissen: Art, Ursache und Auswirkung der Spastik sollte bekannt sein, um einen effizienten Behandlungsplan erstellen zu können, damit die Lebensqualität der Patienten mit Multipler Sklerose verbessert werden kann. Wie jedes Symptom der MS kann die Spastik unterschiedlich lang anhalten und anfangs auch von selbst wieder verschwinden. Mit dem Fortschreiten des Krankheitsverlaufs ist es jedoch ebenso möglich, dass die Spastizitäten sich verstärken können.
Nicht immer gleich: Arten der Spastik:
- Monospastik: „mono“ = „einzeln“, d.h. ein Bein bzw. ein Arm ist von der Spastik betroffen
- Paraspastik: Beide Beine sind von Lähmung betroffen
- Hemispastik: Die Lähmung tritt hierbei entweder auf der linken oder rechten Körperseite auf; Bein und Arm sind betroffen
- Tetraspastik: Alle vier Gliedmaßen – beide Beine und beide Arme sind von der Lähmung betroffen. Je schwerer die Spastik, desto eher können bei der Tetraspastik auch Hals- und Rumpfmuskulatur für die Lähmung anfällig sein
Spastischen Lähmungen (auch „Spastiken“ oder „Spastizitäten“ genannt) können unterschiedlich und mit verschiedenen Begleiterscheinungen auftreten. Wie die Spastik sich äußert, hängt davon ab, welches Areal im Gehirn oder Rückenmark von der Erkrankung betroffen ist und wie stark.
Die Begriffe „spastische Lähmung“ oder „spastische Parese“ werden verwendet, weil durch die Spastik die Beweglichkeit des Körpers eingeschränkt wird.
Ursachen: Das löst eine Spastik aus
Das zentrale Nervensystem ist über Axone mit dem Muskel verbunden und kann diesen dadurch stimulieren.
Dazu geben die Nerven dem jeweiligen Muskel den Befehl, sich anzuspannen: Man spricht davon, dass der Muskel erregt wird. Die Anspannung wirkt kurzzeitig, dann verkürzt der Muskel sich wieder. Auf diese Art entsteht eine Muskelkontraktion.
Eine Störung im Nervensystem führt zu Problemen bei diesem Ablauf. Die Nerven können bei einer Spastik den Muskel in permanenten Erregungszustand versetzen. Das kann sich in einer Erhöhung der Muskelspannung äußern (Tonus) oder auch in einer unkontrollierten Muskelkontraktion.
Bei Multipler Sklerose wird diese Schädigung des ZNS (zentrales Nervensystem) durch den einen Autoimmunangriff auf die Schutzschicht der Nervenbahnen verursacht – Demyelinisierung genannt. Dadurch entstehen Entzündungen, die Spastiken auslösen können.
Diagnose: Ist das eine Spastik?
Damit der Arzt eine Spastik diagnostizieren kann, muss er zunächst eine körperliche Untersuchung vornehmen. Dabei sieht er sich den Grad der Bewegungseinschränkung an, wie viel Kraft der Muskel aufbringt, wie beweglich die Gelenke sind und er erfasst die Schmerzintensität des Patienten. Den Muskeltonus – den Grad der Anspannung der Muskulatur misst der Arzt beispielsweise mithilfe der sogenannten Ashworth-Skala.
Da Spastizitäten sehr unterschiedlich ausfallen können, lässt sich die Frage „wie erkennt man eine Spastik?“ nicht beantworten, indem man „die eine gewisse Bewegung“ zeigt, die klar und deutlich „Spastische Lähmung? Hier!“ ruft. Trotzdem können wir von häufig vorkommenden klinischen Erscheinungsbildern berichten.
Die folgenden Symptome treten unwillkürlich, also ungewollt auf.
Arme und Hände:
- Beugungen des Ellenbogens oder des Handgelenks
- Einwärts gedrehter Daumen oder Unterarm
- Hand wird faustartig verkrampft
- Eng angezogene Schulter
Beine und Füße:
- Beugungen und Streckungen der Hüfte und Knie
- Überstreckte Zehen
- Der Fuß verkrampft sich unwillkürlich stark in eine Richtung
Sollte der Arzt bei Ihnen eine Spastik diagnostizieren wird er womöglich zusätzlich neurologische Tests durchführen und bildgebende Verfahren wie MRT oder CT anwenden.
Die Therapie der Spastik
Spastik kann nach derzeitigen medizinischen Erkenntnissen nicht geheilt, aber behandelt werden. Ziel der Therapie von MS-Patienten mit Spastiken ist es, die Qualität der feinmotorischen Leistungen zu steigern oder zumindest zu halten. Außerdem sollen Schmerzen reduziert und Folgeschäden vorgebeugt werden. Darunter fallen beispielsweise Verkürzungen von Sehnen und Muskeln, Verschleißerscheinungen an Gelenken und u.a. Blasenstörungen.
Der Physiotherapeut
Abgesehen von einer medikamentösen Behandlung eignet sich die Physiotherapie sehr gut, um Spastik zu behandeln. Durch einfache Bewegungsübungen können Reflexmuster verbessert, Balance, Koordination, Kraft und Ausdauer gesteigert und die feinmotorischen Fähigkeiten stimuliert werden. Moderate Belastung bei Freizeitaktivitäten unterstützen außerdem die Behandlungsziele: Ein Ausflug mit einem E-Bike im Freien empfiehlt sich. Muss das Körpergewicht entlastet werden, unterstützen Hilfsmittel wie Schienen oder Stützen beispielsweise die Gehfähigkeit von Menschen mit Multipler Sklerose.
Baclofen: Medikamentöse Behandlung von Spastik
Wird bei Patienten mit Multipler Sklerose außerdem eine Spastik diagnostiziert, kann der Arzt den Zeitpunkt der Behandlung mit Arzneimitteln bestimmen. Das meistverwendete Medikament für die Therapie der Spastik ist Baclofen. Der Wirkstoff Baclofen gilt als allgemein gut verträglich. Nebenwirkungen sind gelegentlich Müdigkeit oder Magen-Darm-Beschwerden (für Kinder und Schwangere eignet sich die Therapie mit Baclofen nicht).
Und wie wirkt Baclofen? Die menschliche Muskulatur wird mit Neurotransmittern aktiviert oder gehemmt. Einer dieser Transmitter, der beispielsweise Krämpfe in der Muskulatur hemmt (verhindert) heißt „GABA“ (Gamma-Aminobuttersäure) und kommt in Gehirn und Rückenmark vor.
Bei der Multiplen Sklerose wird das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) durch Autoimmunreaktionen verletzt. Das zerstört ebenfalls die Balance des Neurotransmitterhaushalts und GABA kann in nicht ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Dadurch kommt es zur unnatürlichen Anspannung der Muskulatur – es entsteht die Spastik. Baclofen „hängt“ sich an die GABA-B-Rezeptoren (Andockstellen von GABA) und imitiert dessen Arbeitsmechanismus: Er hilft bei der Erschlaffung des Muskels – dadurch wird die Spastik gelindert.
Alltag: Mit Spastiken leben
Wenn Muskeln anfangen, unkontrolliert zu zucken oder in recht undankbaren Situationen ihr Eigenleben entwickeln kann der sich der Alltag von Menschen mit Spastiken schwierig gestalten. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, sich an Ärzte, Physio- und Ergotherapeuten zu wenden, doch in manchen Situationen wie beim Essen oder Ankleiden muss es doch auch allein gehen? Für Patienten mit diagnostizierter Spastik gibt es frei erhältliche Hilfsmittel auf dem Markt, die kleine, aber notwendige alltägliche Aufgaben unterstützen. Darunter Geräte für „Einhändige“ wie Schneidebretter oder Deckelabschrauber, Telefone mit großen Tasten, Greifwerkzeug etc.
Orthesen können auch dabei helfen, bestimmte Körperareale zu (unter-)stützen, um trotz Krämpfen oder Lähmungen Bewegungen kontrollierter ausführen zu können.
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